Mit jährlich einer Million Besuchern hält die Großglockner-Hochalpenstraße hinter Schloss Schönbrunn Platz zwei in der Beliebtheitsskala der österreichischen Tourismus-Attraktionen. Vor siebzig Jahren hat ihre Erfolgsgeschichte begonnen.
Um 9.30 Uhr krachte am 30. August 1930 der erste Sprengschuss bei Ferleiten im Pinzgau. Nach fünf Jahren Bauzeit wurde die 47 Kilometer lange Route am 3. August 1935 eröffnet. Morgen, Sonntag, geht auf der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe das Fest zum 70. Jubiläumsjahr über die Bühne.
Ignaz Lackner war acht Jahre alt, als die ersten "Baraber", wie die Bauarbeiter damals bezeichnet wurden, mit ihren Spaten und Krampen anrückten. "Die Baustelle war direkt vor unserer Haustür", erinnert er sich. Lackner hat 37 Jahre lang für die Straßenbaugesellschaft gearbeitet, zuletzt als Bauhofleiter.
Mehr als 250 Schilling betrug der Monatslohn - dafür musste ein Bauernknecht ein Jahr lang schuften. Gearbeitet wurde drei Tage im Akkord, dann legte man einen Tag Pause ein - so war man von der Krankenversicherung entbunden. Die 300 Bauarbeiter trugen weiße Hemden und dunkle Hosen mit breiten Hosenträgern. Zuerst legten sie die einspurige Trasse von Fusch bis zum Hochtor frei. Der Hang wurde angebohrt, der Fels weggesprengt. Für ein ein Meter tiefes Bohrloch brauchte man zwei Stunden.
Versorgt wurden die "Baraber" aus Kantinen, die mit den Arbeitstrupps langsam bis zur Waldgrenze "wanderten". Zu trinken gab es schwarzen Kaffee und Bier, dazu Polenta und Grießschmarrn, die Metzger im Tal lieferten den Kantinenköchen das Fleisch fürs Gulasch.
Bis zu 15 Meter lange Felsbahngleise wurden vor Ort verlegt, auf denen die Loren, schwer beladen mit dem Geröll, verschoben wurden. Raupenschlepper-Traktoren schafften die Fracht auf Feldwegen beiseite. Vom Hochtor wurde das Material mit der Seilbahn abtransportiert.
Lackners Vater war bei der Wildbachverbauung: "Wenn er am Abend heim'kommen ist, war er so fertig, dass die Mutter gesagt hat, wir sollen ihn nur ja net anreden."
Die erste "Mautnerin"
Nach aktuellem Geldwert kostete die Hochalpenstraße 65 Millionen Euro. Erste Pläne datieren von 1922, man wollte reiche Touristen nach Österreich locken. Grünes Licht erhielt Kärntens Landesbaurat Franz Wallack nach dem Börsenkrach 1929, unterstützt von Salzburgs Landeshauptmann Rehrl.
"Der Hofrat Wallack hat mich einmal zu einer Streckenbesichtigung eingeladen", erinnert sich Hella Dick (92), eine der ersten "Mautnerinnen". "Wir sind den ganzen Tag am Berg herumgelaufen, und ich hab keine Jaus'n mitgehabt." Zum Glück gaben ihr die Ingenieure was von ihrem Proviant ab, "sonst wär i verhungert!"
Hella Dick verdiente sich als Lehrerin an der Mautstelle Ferleiten in den Ferien ein Zubrot. Bei der Arbeit trug sie Dirndl und Trachtenhut. Zu Gute kamen ihr ihre Sprachkenntnisse. "Oft hab ich den Gästen aus England und Amerika erklären müssen, warum sie eine Maut zahlen müssen", berichtet sie. "Ich hab immer gesagt, für so ein einmaliges Bauwerk muss es euch das wert sein."
Für die Autos der 30er-Jahre war's eine Nagelprobe. "Viele blieben mit Motorschaden stehen, einem ist gleich der ganze Motor zerschmolzen", sagt Dick. Auch Radfahrer hatten Maut zu zahlen - einen Schilling. "Einem hat der Hofrat Wallack den Schilling selber bezahlt, sonst hätt' er umkehren müssen."
Zügig voran ging der Bau seit der Gründung der Großglockner Hochalpenstraßen AG im Februar 1931. Nach dem Krieg wurde die Trasse saniert. Als Technischer Direktor sorgt der gebürtige Steyrer Franz Pils heute für die Erhaltung. 220.000 Autos, 80.000 Motorräder und 7400 Busse nahmen die Straße 2004 unter die Räder, ein Besucherplus von 3,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr war zu verzeichnen.
Einkehr beim Mankeiwirt
Gern halten die Touristen Einkehr im Gasthof "Fuscherlacke". Die Haustiere von Gastwirt Herbert Haslinger (47) findet man nicht überall: ein Murmeltier-Pärchen, zwei Jahre alt, die dem "Mankeiwirt" nicht von der Schulter weichen. Wer will, darf sie auch streicheln.
Geöffnet ist die Glocknerstraße von Anfang Mai bis Ende Oktober. "Mitte April fangen die zehn Mitarbeiter der Schneeräumung gleichzeitig von Fusch und Heiligenblut aus an", sagt Betriebsleiter Peter Embacher. In ein Meter dicken Schichten wird der Schnee abgefräst und vom Schneepflug 40 Meter weit weggeschleudert. Erst wenn die Strecke mit Sommerreifen befahrbar ist, wird sie freigegeben.
Schön findet Hella Dick, "dass bei all der Technik auch auf die Natur nicht vergessen wurde." Enzian und Almrosen, wohin man schaut, und gleich neben der Trasse hat man eine Modell-Felsenwelt angelegt, die "Hexenküche". Dort hat sie 1996 ihren todkranken Mann, einen begeisterten Bergsteiger, ein letztes Mal fotografiert.