Schon bei der Fahrt durchs Tal von Gressoney fallen die vielen deutschsprachigen Orts- und Gasthausnamen auf. Gressoney ist neben Alagna und Macugnaga eine der drei alten Walserkolonien auf der italienischen Seite des Monte Rosa. Während das Walserdeutsch in Alagna (italianisiert vom Walsernamen "Im Land") und Macugnaga wegen der zu geringen aktiven Sprachpopulation im Aussterben begriffen ist, wird es im Tal von Gressoney von vielen der rund 2.000 Einwohner nach wie vor gesprochen und für die Nachwelt bewahrt. Die Walser von Gressoney haben deshalb neben der übergreifenden Autonomie des französischsprachigen Aostatals einen zusätzlichen Lokalautonomiestatus. Das ermöglicht ihnen nicht nur die Erhaltung ihrer Kultur und Sprache, sondern auch das in den Alpen nahezu einmalige Recht, auf ihrem Gemeindegebiet, zu dem ein großer Teil des Monte Rosa gehört, Heliskiing anzubieten. Dieser Sachverhalt ist kaum bekannt.
Gressoney besteht neben mehreren Kleinsiedlungen hauptsächlich aus dem Zentrum St. Jean auf 1385m und La Trinité auf 1685m Höhe. Zu Gressoney St. Jean gehört das Skigebiet Weissmatten an einem Nordhang mit 700m Höhendifferenz. Als einzige Liftanlage bedient dort eine alte DSB mehrere Pisten. Im Tal gibt es einige Übungs-SCHL. Das Gebiet Weissmatten war über die Ostertage 2005 noch improvisiert geöffnet und hatte anschließend schneemangelbedingt Saisonschluss, womit sich ein Besuch dort leider erübrigte.
Die Schneelage war im Winter 2004/2005 (im Gegensatz zum Vorjahr) in Nordwestitalien sehr problematisch (siehe Alagna-Berichte aus dem selben Winter im Forum). Zwischen Weihnachten und Ostern gab es quasi keinen Neuschnee; auf dem italienischen Wetterradar ließ sich verfolgen, wie die Niederschlagsgebiete die Region konsequent mieden.

Gressoney la Trinité, das ich als belebtes Wintersportzentrum erwartet hatte, ist trotz des beachtlichen Skigebietsausmaßes ein völliger "Lost Place", wahrscheinlich noch "loster" als Alagna, so weit ich das anhand von Fotos aus den Alagna-Berichten und von anderen Pages vergleichen kann. Von Betriebsamkeit oder Andrang keine Spur - ein enormer Kontrast zu anderen Wintersportorten, die ich bislang besucht habe. Rund um die Kirche verliert sich eine überschaubare Anzahl von Gebäuden, darunter wenige Hotels, eine Bar, ein winziges Lebensmittel- und zwei Sportgeschäfte, Post und Apotheke. Ein längst geschlossener Hotelbau im Empire-Stil, vielleicht aus den vierziger Jahren, wartet auf seinen Abbruch. Am Ortsrand noch eine Gruppe Appartementhäuser mit verschlossenen Fensterläden als Turiner Wochenendstützpunkt - das war's. Gressoney la Trinité ist wegen seiner Abgelegenheit weit hinten im Tal ursprünglich geblieben, oder anders gesagt: Hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht. Die Party- und Halligalli-Welle hat Gressoney nicht berührt, und bei der vorgefundenen Infrastruktur (Gressoney la Trinité: 275 Einwohner, Alagna: 432) ist das auch nicht zu erwarten.
^^ Zunächst der miserable MonterosaSki-Pistenplan als Ausschnitt. Bitte Anklicken zum Vergrößern (610 KB).
^^ Blick auf Gressoney la Trinité aus der DSB Punta Jolanda. Im Hintergrund das Gebiet Weissmatten.
^^ Gressoney la Trinité
Trotz seiner Lage unter dem 3000m hohen Südabfall des Monte Rosa-Massivs, mit 4634m immerhin zweithöchste Alpenerhebung, ist Gressoneys Panoramarundblick - auch aus dem Skigebiet - wenig beeindruckend. Von Süden gesehen besteht der Monte Rosa heute aus breiten Felswänden, Schneebändern und runden Kuppen. Keine kühnen Felstürme, keine mächtigen Gletscherströme fesseln den Blick an sich. Vor 25 Jahren war das noch anders: Auf 80er-Jahre-Ansichtskarten aus dem Skigebiet sind noch genau so eindrucksvolle Gletscher wie auf der Zermatter Nordseite des Berges zu sehen. Heute haben die Gletscher des Gressoneytals viel an Länge und Volumen verloren und sind kaum noch zu sehen; den Klimawandel und vor allem den heißen Sommer 2003 haben sie nicht überstanden. -
Die Skigebietsanbindung der Siedlung Gressoney la Trinité besteht lediglich aus einer alten Leitner-DSB jener Baureihe, die mit ihren verblichenen, roten Plastiksesseln aus den achtziger Jahren das Bild der Beförderungsanlagen vor allem von Champoluc prägt. Steil fährt die Bahn auf die 2240m hohe Punta Jolanda hinauf. Von hier fährt man zunächst zur Alpe Bedemie ab und von dort mit der erst 2003 gebauten, fixgeklemmten Seehorn-DSB (Leitner) hinauf nach Gabiet (2350m), Gressoney la Trinités Skigebiet auf der östlichen Talseite.
^^ Gressoney la Trinité, DSB Punta Jolanda (Leitner). Ich rechne mit mittelfristiger ersatzloser Stillegung der Bahn, da ihre Zubringerfunktion auch vom Skibus gewährleistet wird.
^^ Bergstation Punta Jolanda.
^^ Blick von der Punta Jolanda zum Monte Rosa-Massiv.
^^ Exkurs: Talabfahrt von der Punta Jolanda nach Gressoney la Trinité, ein Werk fleißiger Beschneiung.
^^ Alpe Bedemie. Von hier geht es mit der ...
^^ ... DSB Seehorn (Leitner) weiter in Richtung Gabiet.
Der eigentliche Alpinski-Knotenpunkt von Gressoney la Trinité ist der per kostenpflichtigem Skibus angebundene Weiler Stafal am Talschluss auf 1825m. Die alte Generation der Zubringeranlagen ab Stafal wurde in den letzten Jahren ersetzt. Die frühere Eiergondelbahn nach Gabiet wich einer Agudio-6EUB. Auf Gabiet wird der letzte SCHL der Skischaukel Champoluc-Gressoney-Alagna (von wenigen Talliften einmal abgesehen) betrieben. Ab Gabiet geht es mit der langen 12EUB Passo Salati (Leitner) auf 2936m und auf der anderen Passseite weiter ins Gebiet von Alagna. Naheliegend ist die Abfahrt zur Funifor-Mittelstation Cimalegna. Alagnas Skigebiet soll hier aber nur der Vollständigkeit halber am Rande und mit ein paar Fotos Erwähnung finden, denn es ist im Alpinforum bereits weit über seine Bedeutung hinaus dokumentiert.
Mein mäßiges Skiurlaubswetter bot am letzten Tag noch Gelegenheit für einen Abstecher vom Passo Salati nach Pianalunga und von dort mit DSB und PB zur Punta Indren. Meine Meinung: Bei guter Sicht und Pulverschnee mag Skifahren und gerade Freeriding in Alagna ja durchaus seine Qualitäten haben - in anderen Wintersportorten aber auch. Bei schwerem, weichem Nassschnee oder bei schlechter Sicht kann man Skifahren in Alagna vergessen. Da es keine Pistenmarkierungen gibt, stehen in Alagna bei Nebel und Schneefall nicht nur die Freerider ohne Orientierungsmöglichkeit im baumfreien Gelände.
^^ Gressoney-Staffal, 6EUB Gabiet.
^^ Gabiet, Skilift Castore - der letzte noch betriebene SCHL oberhalb der Talbereiche.
^^ Gabiet, 12EUB und Piste Passo Salati
^^ Gabiet, 12EUB und Piste Passo Salati
^^ Bergstation 12EUB Passo Salati. Von hier geht's weiter ins Skigebiet von Alagna.
^^ Blick vom Passo Salati zu Alagnas Punta Indren (PB-Kabine in der Bildmitte) und zur Vincentpyramide. Dieses Foto gibt's in den Alagna-Berichten im Forum sicherlich viel besser.
^^ Piste und Funifor Cimalegna über den Wolken. Auch ein Bild, das schon oft im Forum steht.
^^ Vigevanohütte über den Wolken.
^^ Skiroute am Sasso Diavolo Richtung Pianalunga
^^ Pianalunga, Alagnas Zubringer-Bergstation. Das Freeride Paradise im Dauernebel. Talabfahrt ohne Schnee.
^^ Balma Day auf der Bocchetta. Angeblich letzter Betriebstag des Balma-Korblifts. Fotos vom Lift gibt's genug im Forum.
^^ PB Punta Indren. 45 min Wartezeit - die einzige während des Urlaubs.
^^ Canalino-Abfahrt zurück nach Gabiet. Auch schon mehrfach im Forum.
^^ Querung zurück nach Gabiet und Gressoney.
Ausgangspunkt für die Skischaukel von Gressoney nach Champoluc ist die PB von Stafal aufs 2000m hoch gelegene Santa Anna auf der westlichen Talseite von Gressoney. Sie ersetzt seit wenigen Jahren die frühere DSB. Von Santa Anna geht es dann mit der 4KSB Colle Bettaforca (mit Haube, in Gressoney eine Revolution!) auf den 2672m hohen gleichnamigen Pass. Vor einigen Jahren fuhr hier statt der 4KSB ebenfalls noch eine DSB, außerdem zwei SCHL. Der untere SCHL verlief rechts von der DSB ungefähr parallel zur Hälfte ihrer Streckenführung und schwenkte dann per Kurve weiter nach Norden, der obere erschloss von der Bergstation des unteren SCHL aus die 2996m hohe Bettolina bis 2861m Höhe. Von beiden SCHL ist nichts geblieben.
^^ Stafal. Parkplätze, Après-Ski-Bars und einige Hotels.
^^ PB von Stafal nach Santa Anna
^^ Bergstation PB Santa Anna. Eigenwillige Betonkonstruktion.
^^ Blick von der Punta Jolanda auf 4KSB und Piste Bettaforca. Rechts vom Pass die Bettolina (LSAP)
^^ 4KSB Santa Anna - Colle Bettaforca
^^ 4KSB Santa Anna - Colle Bettaforca, Blick übers Tal zur Punta Jolanda
Auch auf der Champoluc-Seite des Passes fährt eine 4KSB, leider ohne Haube (muss früher ein SCHL gewesen sein). Vom Colle Bettaforca quert man mit mehreren Sesselbahnen (vorwiegend ältere Leitner) gut 10 km bis ans andere Ende des Skigebiets von Champoluc. Dabei passiert man die Alpe Crest (1950m), den Hauptknotenpunkt des Skigebiets, der von Champoluc mit einer 6EUB erreicht wird (Agudio?). Dank leistungsstarker Lanzenbeschneiung war Ostern 2005 die Talabfahrt von Crest nach Champoluc geöffnet. Bei Temperaturen von bis zu 15°C musste man sich dort schwitzend durch den schweren Nassschnee hinunterarbeiten. Von Crest aus geht es zunächst mit zwei parallelen Leitner-SBn (DSB und 3SB) zur Alpe Ostafa und von dort per 3SB zum nördlichsten Punkt des Skigebiets Champoluc, dem Colle Sarezza.
^^ 4KSB Bettaforca (Champoluc-Seite). Rückseitige Ansicht der Bettolina (LSAP).
^^ Weiter Richtung Crest mit der 4KSB Alpe Mandria. Sie ersetzte einen Doppel-SCHL, dessen Trassierung unter der Sesselbahn noch heute auffällt.
^^ Immer noch weiter Richtung Crest mit der DSB Belvedere. Besonderheit: Ihre Talstation befindet sich auf ca. halber Streckenlänge; von hier aus fährt die Bahn in beide Richtungen je eine Bergstation an. Vom Restaurant Belvedère aus weitet sich der Blick in die Walliser Alpen bis zum Matterhorn. Im Restaurant Belvedère hängt ein riesiger, uralter Pistenplan des Gebiets hinter Glas, leider zu groß zum Fotografieren.
^^ Abstecher: Talabfahrt von Crest nach Champoluc. Gut, dass es Beschneiungstechnik gibt ...
^^ Fahrt mit der 6EUB hinauf nach Crest. Der Ort Champoluc ist deutlich größer als Gressoney la Trinité.
^^ DSB und 3SB Crest-Alpe Ostafa. Diese Konstellation wird zur Saison 2005/2006 durch eine Leitner-12EUB ersetzt.
^^ Nochmal DSB und 3SB Crest-Alpe Ostafa
^^ DSB und 3SB Crest-Alpe Ostafa zum Dritten. Blick auf Bergstation Crest mit Restaurants und Snowpark. Im Hintergrund Skigebiet von Antagnod.
In Richtung Talausgang des Val d'Ayas, in dem Champoluc liegt, blickt man ins Skigebiet von Antagnod (1700m; Südhang). Antagnods Beförderungsanlagen (einstmals 6 SCHL) wurden in den letzten Jahren auf 1 Sesselbahn und 1 SCHL reduziert und das Skigebiet entsprechend verkleinert. Ostern 2005 bot Antagnods Skigebiet schneemangelbedingt einen krassen Anblick: Das gesamte Gebiet war von unten bis oben braun und wurde lediglich von zwei weißen Kunstschnee-Bahnen durchschnitten. Würde Antagnods Skigebiet "nach oben" zum Col Pillonet ausgebaut, erhielte man eine Skischaukel mit Chamois im Valtournanche.
^^ Skigebiet Antagnod von Crest gesehen. Weiße Linien auf braunem Grund.
Fazit: Für Leute, die anspruchsvolles Skifahren in einem abwechslungsreichen Gebiet mit Ruhe und Erholung kombinieren wollen, ist Gressoney ein interessantes Reiseziel. Wartezeiten an den Liften haben wir nicht mal am Osterwochenende erlebt. Wer Party will, ist hier völlig falsch. Den befürchteten Bauboom erwarte ich in Gressoney nicht, dafür ist das Gebiet zu abgelegen. Zusammen mit Alagna und Champoluc wird Gressoney im Bekanntheitsgrad auch künftig weit hinter anderen italienischen Wintersportgebieten zurückstehen.
Von der Betreibergesellschaft MonterosaSki wünsche ich mir als Investition für die nächsten Jahre, dass die technisch rückständigen Leitner-SBn ersetzt oder mit Wetterschutzhauben nachgerüstet werden. Diese Bahnen mit ihren billigen roten Plastiksesseln habe ich wegen ihrer völligen Unbrauchbarkeit bei Nassschneefall hassen gelernt. Konstruktionsbedingt fangen ihre Sessel Schnee und Feuchtigkeit wie eine Schale auf und sorgen schon bei der ersten morgendlichen Bergfahrt für eine durchweichte Skihose und einen eiskalten Hintern für den Rest des Tages. Wenn die Sitzfläche doch wenigstens eine Einzelverlattung mit Zwischenräumen hätte! Da auch eine Abdeckung für die Beine fehlt, setzt sich das Nässeerlebnis auf der Körpervorderseite konsequent fort. Das braucht niemand; selbst beim Schleppliftfahren bleibt die Kleidung bei Schlechtwetter trockener. Immerhin ersetzt Champoluc die beiden parallelen Leitner-DSB bzw. 3SB von Crest zur Alpe Ostafa zur Saison 2005/2006 durch eine 12EUB.
Aus den wenigen, kleinen Touri-Läden Gressoneys habe ich ein paar Ansichtskarten von alten Anlagen mitgebracht. Ich hoffe, sie demnächst unter LSAP/historisch einstellen zu können.
Frank